"Falsche" Mondneigung  -  Wohin zeigt die Mondsichel?

 

Karlheinz Schott

 

Das Phänomen

 

Wenn Sonne und Mond gleichzeitig am Himmel zu sehen sind, scheint die Mondsichel nicht zur Sonne zu zeigen. Sie weicht mitunter erheblich von der erwarteten Richtung ab. Ebenso unerwartet zeigt die Sichel nachts trotz untergegangener Sonne manchmal nach oben statt nach unten. Das nachstehende Bild gibt den Eindruck wieder.

"Falsche" Mondneigung
"Falsche" Mondneigung

Für diese erstaunliche Erscheinung gibt es die abenteuerlichsten Erklärungen. Es soll sich z. B. um eine geometrisch nicht erklärbare "psychophysische Täuschung" handeln. Oder es soll der gerade Lichtweg am Firmament "gekrümmt" abgebildet oder vom Menschen "gebogen" wahrgenommen werden. Oder es soll an der "Himmelskugel" eine Geometrie mit anderen Regeln gelten als auf der Erde. Diese Erklärungen sind sämtlich falsch. Tatsächlich beruht das Phänomen allein auf der alltäglichen, beim Mond allerdings überraschenden Wirkung der Perspektive, die selbstverständlich (nur) geometrisch erklärbar ist. Denn die Neigung der Mondsichel kann gemessen, geometrisch konstruiert und berechnet werden, Letzteres mit der Formel:

 

α**(°)  =  grad ( atan ( ( tan α   x   cos γ   -   cos β   x   sin γ )   :   sin β ) )

 

wobei α die Höhe der Sonne, γ die des Mondes und β die Differenz ihrer Kompasspeilung ist. Und auch die Mondneigung, die man eigentlich erwartet hätte, kann gemessen und errechnet werden. Für obskure "psychophysische Täuschungen" oder "krumme Linien" verbleibt kein Raum.

 

Auf den folgenden Seiten stelle ich die geometrischen Gegebenheiten dar, erläutere Skizzen und Berechnungen, gebe Darstellungen zur Perspektive und stelle Fotos eines Modells sowie ein kurzes Video vor. Schließlich äußere ich mich zu anderen einschlägigen Darstellungen.

 

Das Rätsel erscheint, sobald man es begreift, banal und lässt fraglich erscheinen, ob seine Bedeutung die hier gegebenen Berechnungen und ausführlichen Erörterungen überhaupt rechtfertigt. Das könnte man in der Tat verneinen,

 

- wenn die auf Seite E erwähnten unrichtigen Darstellungen anderer Autoren nicht nach einer Korrektur verlangt hätten (welche, wie man im Folgenden sieht, mit den Mitteln der Schulgeometrie möglich ist), und

 

- es sich nicht doch um ein eindrucksvolles Beispiel dafür handeln würde, wie sehr wir zu unserer Orientierung im dreidimensionalen Raum auf den - beim Mond unzureichenden bzw. irreführenden - Kontext unserer Wahrnehmungen angewiesen sind, und wohl auch dafür, dass wir unseren Augen nicht immer und nicht unbesehen trauen sollten!

 

November 2007

(mit späteren Ergänzungen)

 

 

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